
Kontrollverlust ist was feines. Und zwar deshalb, weil so ein Zustand Überraschungen zulässt. Ganz zu schweigen von weiteren positiven Eigenschaften, wie das Zerstören der (eigenen) Ordnung oder dem schamvollen Entblößen eigener Schätze — oder noch besser — Schandtaten. Daher bin ich ein großer Befürworter des Kontrollverlustes.
Voll die Kontrolle zu haben ist ein Machtspielchen. Vielleicht ein kleines Machtspielchen, aber sicher ein fieses. Denn das Spielen mit Macht ist wie das Spielen mit leckeren Drogen. Man fängt klein an, findet es so toll, dass es ohne nicht mehr zu gehen scheint und kann deshalb nicht (gleich) wieder aufhören. Dann braucht man mehr. Aber ‚Mehr‘ macht nicht mehr zufrieden. Sondern noch kontrollsüchtiger.
Kontrollieren und gleichzeitig regieren ist für Diktatoren und Alleinherrscher. Für den Rest von uns sollte es ausreichen, Kontrolle abzugeben (loszulassen) und stattdessen nur zu regieren. Damit meine ich nicht die Art von regieren, wie Politiker und Machtmenschen das tun. Sondern Einfluss zu nehmen auf eine bestimmte Situation, im Sinne von Veränderung herbei zu führen. Oder aus üblen Umständen heraus zu regieren.
Macht über die täglichen Dinge zu haben, bedeutet, dass der Tag reibungslos abläuft, die Zwischenfälle und Pannen sich in Grenzen halten. Es bedeutet genauso, dass man bei bestimmten Dingen (Streit, Betrug, Sex) und auch darüber hinaus unentdeckt bleibt. Man kontrolliert es halt. Aber schon diese Kontrollen beanspruchen unsere Energien und Ressourcen.
Eins, zwei Stufen höher in der sozialen Hierarchie will man gern kontrollieren, was die die Medien über einen berichten, die Leute erzählen, der Politiker entscheidet, der Nachbar (oder die Konkurrenz oder das Finanzamt oder der geschasste Ex-Partner) gegen einen ausheckt. Der Unternehmer will „Marketing“ machen, um Kunden zu kontrollieren, womit er Werbung und PR meint, was heutzutage fatal ist.
Der Künstler will „seine“ Kritiker kontrollieren, was wieder fatal ist, wenn er doch eigentlich für seine Fans arbeiten sollte. Und sowieso, ein Künstler, der zum kontrollieren neigt, der kontrolliert auch anderswo. Nämlich in seinen Gedanken. Und dort wirkt Kontrolle wie eine Selbstschussanlage gegen kreative Ausbrüche und Ideen. Und gegen das Eindringen gegen Inspiration von außen. So jemand gleitet kontrolliert in den Tod.
Wir müssen die Kontrolle haben
Ach nee, jetzt auf einmal…. Ja, aber nur bei bestimmten Dingen, nur zu bestimmten Zeiten. Nicht immer und überall. Nach außen gerichtet nur beim Start, bei der Initiierung, beim Lostreten, Ansagen, Anstecken und Infizieren.
Nach innen beim Umgang mit Gefühlsausbrüchen. Oder beim Alkohol.
Kontrolle ist so notwendig wie das Essen. Ganz ohne geht es nicht. Aber Essen kann auch wie eine Droge wirken. Das wäre dann Völlerei. Das heißt, wir brauchen nur so viel Nahrung und Kontrolle, wie nötig. Allerdings keine Sucht danach.
Alles, was über das notwendige, gesunde Maß hinaus geht wird gefährlich. (Was es manchmal muss — dazu später.)
Übermäßige, übertriebene Kontrolle richtet sich gegen den Kontrolleur. Sie lähmt ihn.
Diesem wird Ordnung, Perfektion und widerspruchslose Unangreifbarkeit wichtiger als das Leben selbst. Der Control Freak ist derjenige, der die Kontrolle über seinen eigenen Kontrollwahn verliert. Bumms, und schon erliegt er einem Zwang, der nun alles andere überlagert, hemmt und dominiert.
Die Frage ist jetzt: Wie weit sollen wir uns oder irgendwas kontrollieren, ohne dass wir dadurch wiederum die Dinge lähmen, die uns wichtig sind?
Mir persönlich ist es zum Beispiel wichtig, dass ich kreativ bin, ungestört arbeiten kann und mir es zu gegebener Zeit gelingt, aus meiner Position als Underdog heraus mein geplantes Produkt bekannt zu machen, damit es sich verkauft. Also das Offensichtliche. Der Weg dorthin führt über diesen Blog, über die Beiträge und einige für mich sehr wichtige Menschen, die mir dabei helfen und ich ihnen dafür ewig dankbar sein werde. Alles weitere aber kann ich nicht kontrollieren. Da herrscht das Chaos.
Du musst nur richtig in der Jauche rühren
…dann kommt die ganze Scheiße nach oben. Genauso funktioniert die Welt.
Brillante Ideen zur Lösung von Problemen entstehen am besten im eigenen Chaos. Das sollte man nicht kaputt kontrollieren, so viel sollte mittlerweile klar sein.
Aber. Das äußere Chaos, also die Welt an sich (hier als Jauche bezeichnet), die braucht ebenso wenig unsere Kontrolle über mögliche (aber meist erfolglose) Eingriffe oder Manipulationen. Egal, was wir versuchen, Jauche bleibt Jauche. Welt bleibt Welt. Mensch bleibt Mensch.
Du kannst es (Jauche, Welt, Mensch) nicht kontrollieren. Aber du kannst es durcheinander bringen und so manche Karten neu mischen. Denn wenn du nichts machst, ändert sich nichts. Wenn du nicht weißt, was zu tun ist, tust du für gewöhnlich auch nichts.
Die gute Nachricht: Manchmal musst du gar nicht wissen, was zu tun ist. Du musst nur wissen, dass du irgendwas tun kannst. Scheißegal, was.
Tue nur irgendwas richtig beklopptes und mache es ausdauernd. Dadurch mischst du deine Karten und die Karten anderer neu. Das ist gefährlich (und innovativ). Gefährlich für den Status Quo, gefährlich für Ausweglose Situationen und gefährlich für unlösbare Probleme. Und es ist sehr gefährlich für Gatekeeper und deine Rivalen. Das heißt, jede Veränderung einer schlechten Situation ist… Trommelwirbel… Gut.
Anders ausgedrückt, wenn du Chaos und damit Gefahr schürst, dann bist du gefährlich. Logisch. Und wenn du gefährlich bist, dann bist du – auf diese Art – interessant. Oder ein Hassobjekt. Egal. Zumindest achtet man mehr auf dich. Du weißt schon warum: Du wirst langsam zur Bedrohung für die etablierten Eliten und Raffkes. Oder bestenfalls für deine eigene Branche. Oder für Falschspieler.
Kontrolliere nur das, was du kontrollieren kannst
Aber nicht darüber hinaus. Lass dort lieber das Chaos entstehen und erfreue dich an den Folgen. Aber kontrolliere sie nicht. Denn das wäre so, als wenn man versucht, mit bloßer Hand ein weiches Stück Scheiße festzuhalten. Hier gilt: Wer kontrolliert, der verliert. (Sogar noch die Scheiße.)
Im Chaos hingegen kannst du ständig Neues entdecken. Denn es ist dein Chaos, deine Scheiße und das bedeutet für dich Chancen, Veränderung und (aus der Jauche) auftauchende Möglichkeiten. Innovationen und künstlerische Inspirationen können so bei dir entstehen. Positive Überraschungen eben.
Rühr die Jauche um. Offenbare das versteckte. — In dir und in der Welt. Das geht am besten, wenn du du selbst bist und das offen lebst. Damit erschaffst du dein Stück Welt. Es ist zwar nach wie vor „Jauche“. Aber jetzt gilt: Wer rührt, regiert.