Quantcast
Channel: Klokain-Kartell
Viewing all articles
Browse latest Browse all 111

Der Vollkipper

$
0
0
Ein Bild aus den ersten Tagen meiner Kneipe. Doris (neben mir) war als einzige von allen Mitarbeitern vom ersten bis zum letzten Tag mit dabei. (Foto privat.)

Bevor ich 1994 meine erste und einzige Bar eröffnete, folgte ich den Rat von Anderen und habe für ein Vierteljahr als eine Art Praktikant, besser Hilfskellner, im Restaurant eines Bekannten gearbeitet.

Einer meiner Ratgeber arbeitete selber dort als Kellner und führte mich – wie es schien – in die Geheimnisse der Gastronomie ein.

Sinn und Zweck dieser Buckelei war, dass ich Erfahrungen sammeln sollte. Ich hörte darauf.

Als ich meine Bar dann eröffnete, war alles anders. Denn es gibt schon rein wegen der Logik Unterschiede zwischen einem großen Hotelrestaurant und einer Kneipe, die eher den legeren Umgang pflegt.

Den Unterschied zwischen zwei Betrieben innerhalb der selben Branche zu „erfahren“ war meine Haupterfahrung. Und weniger das Erlernen und Umsetzen von Vorschriften eins zu eins.

Natürlich kamen in den ersten Tagen und Wochen auch meine professionellen Ex-Kollegen aus dem Restaurant und meinten mir Ratschläge geben zu müssen. Ich hörte genau hin, denn in so Sachen wie „man eine Kaffetasse richtig anfässt“ oder wie „man an den Gast herantritt“ kannten die sich aus. Und ich nahm deren Ratschlag erstmal an.

 

Schnell platze mir der Kragen

Zwei, drei oder vier Tips sind genug. Aber um „Deutschland sucht den Superkellner“ vor allen Gästen vorzuführen habe ich den Laden nicht eröffnet. Ich hab die Besserwisser rausgeschmissen, einen davon Hausverbot erteilt, einen Partner gefeuert und ausbezahlt und den Laden so betrieben, dass ich auch selber Spaß daran haben konnte.

Der Spaß hat sich dann auch auf die Gäste übertragen. Und eben diese Gäste waren es, die mir dann die guten Tips gaben. Tips, die gut für die Gäste waren und weniger für die Profi-Kellner, also die Experten.

Die Gäste sahen meinen Laden und meine Mitarbeiter aus ihrer Sicht und haben damit recht, wenn sie etwas sagen oder einen Hinweis geben. Ohne überheblich zu wirken wie meine Experten zuvor, halfen sie mir, das gewisse Etwas in die Bar zu bringen.

Egal, ob es ein Angebot war, die Musik oder das Verhalten eines Mitarbeiters. Was nicht stimmte, flog raus, wurde ersetzt oder verändert. Was gefragt war, kam neu dazu. Den einen Tag dies, den anderen Tag das. Immer wieder ein bisschen. Kein Tag war wie der andere. Beispiel:

 

Ein bisschen hier, ein bisschen da

Bei jedem „bisschen“ war die Stelle entscheidend, wo es statt fand und wie es statt fand. Also direkt beim Gast und wie es bei ihm ankam, was ich tat.

Als einer mal Bourbon bestellte, sah er wie ich akribisch und langsam mit dem Messbecher die Gläser befüllte.

Er sagte, „Lutz, nimm die Pulle, kipp das Zeug einfach rein, am besten immer sichtbar mehr. Das macht einen guten Eindruck. Glaub mir.“ Ich war sofort überzeugt und machte es nie wieder mit dem Messbecher. Ich hatte mehr als genug daran verdient. Am Ende mehr als zuvor.

Wenn jemand Cola oder Wasser bestellte, gab es ein kostenloses Nachfüllen. Bei Ausländern kam ohne zu fragen immer Eis rein. Und bei einheimischen Gästen fragte ich, ob sie Eis wollten, dann bekamen sie ein größeres Gals als bestellt war. Denn wegen dem Eis war weniger „Getränk“ im Glas, was wiederum zu einer typisch deutschen Beschwerde führte.

Vor allem aber bezeichnete ich mich selbst manchmal als den „Vollkipper“. Denn bei mir bekam jeder Gast immer mehr in sein Glas eingeschenkt als bei den anderen Kneipern. Die Getränke bei mir waren richtig gekühlt, sogar die Weine entsprechend der Sorten. Die Auswahl war größer und der Kneiper samt Mitarbeiter unterhaltsamer, herzlicher.

Das und solche Sachen sprachen sich herum. So bekam ich genau die Gäste, die ich wollte.

Das Prinzip lässt sich auf alle Bereiche des Lebens übertragen. Nicht nur im Geschäft.

Wenn man ein bisschen freundlicher,

ein bisschen großzügiger,

ein bisschen hilfsbereiter,

ein bisschen freizügiger,

ein bisschen schrulliger,

ein bisschen verrückter,

ein bisschen gewagter,

ein bisschen lustiger,

ein bisschen offener,

ein bisschen bunter ist, bekommt man später von Vielen wieder ein bisschen zurück. Ein bisschen von Vielen ist… viel.

 


Viewing all articles
Browse latest Browse all 111