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Channel: Klokain-Kartell
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Wie kann man etwas so schlecht machen, dass es schon wieder gut ist?

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Image by vtsr

Klingt interessant, oder? Nicht nur das. Es ist auch machbar. Denn wenn du etwas nicht richtig gut kannst, warum machst du das dann nicht gleich richtig schlecht? Das ist nicht nur einfacher und hat seinen Reiz. Es hat auch seinen Wert.

Ich meine Mehrwert. Sehr viel Mehrwert. Das einzige Problem an der Sache: Es klingt widersprüchlich.

Ist es aber nicht, denn:

 

Schlecht ist richtig → Sofern es richtig schlecht ist

Dass etwas schlecht ist, heißt noch lange nicht, dass es auch falsch ist. Schlechte Dinge können durchaus richtig sein. Und was richtig ist, ist gut, oder? Doch, ist es. Vertrau Onkel Lutz.

Man kann es auch so ausdrücken: Es gibt Dinge, die liegen derart daneben, dass sie genau ins Schwarze treffen. Was an dieser Stelle schon paradox klingt, löse ich mal auf:

[Daneben kann auch ‚ins Schwarze‘ sein. Wenn man das eigentliche (ursprüngliche) Ziel verfehlt, dann trifft man eben woanders hin. Manchmal ist ein ‚woanders‘ sogar besser, vielleicht unbeabsichtigt, aber dennoch treffend. Im englischen nennt man sowas a happy accident.]

Viele machen ihre Sache viel zu gut, viel zu umfangreich, viel zu aufwendig, viel zu stark und viel zu perfekt. Und wozu? Damit sie mit etablierten Anbietern auf dem gleichen Markt konkurrieren können. Jene geben die Norm vor und sind richtig gut. Also ist man versucht (genauer verflucht), mindestens genauso gut oder besser zu sein. Trotzdem [nein, deshalb] bleibt es aussichtslos.

Das ist wie mit einem 1500 PS-Fahrzeug, dessen Leistung du nicht auf die Straße kriegst. Schon gar nicht auf die öffentliche. Entweder rauchst du den Gummi auf oder gleich den Motor. Wenn du irgendwo hinkommen willst, bist du da besser beraten, wenn du zu Fuß gehst.

Nochmal: Hat man es mit viel Anstrengung geschafft, super gut zu sein, bringt es eventuell nichts. Denn genauso gut bedeutet oft: Genauso und nicht anders.

 

Reicht es aus, anders zu sein?

Nö. Anders sein um seiner selbst willen ist nicht an Kunden, Nutzer oder den Fans orientiert. Du wärst nur ein bisschen anders als die anderen. Aber ohne dass es sonst einen interessiert.

Toyota ist auch anders als Nissan, Norton anders als BSA, und Esso anders als BP. LG ist anders als Samsung, Hakle anders als Zewa. Cartier ist anders als Chopard. Orion ist anders als Beate Uhse. Bayern sind anders als Österreicher. Und Heino ist anders als Beelzebub. Trotzdem besteht für jemanden, der mit der Materie nicht so bewandert ist, Verwechselungsgefahr. Dieser Unterschied reicht noch nicht.

 

Das Problem ist Anpassung

Viele Firmen, Filmstudios, Werbeagenturen und sogar gestandene Musiker kopieren sich mit ihren Angeboten, Arbeiten und Werken gegenseitig. Ist etwas erfolgreich, dann haben es bald alle. Nur eben in grün. Aber die Kunden und Anhänger grasen nur die paar ersten ab. Und jeder Neuankömmling ist einer zu viel. Das sieht man auch bei Bloggern. Egal, wie viel Beziehungen, Referenzen und Geld sie mobilisieren. Ich hab auch schon Preise gewonnen. Schön, aber genutzt hat es nichts. Gar nichts.

Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel.

 

Bestätige die Regel, aber halte dich nicht dran

Sei die Ausnahme. Wie? Sei hirnverbrannt und unvernünftig. Das heißt jetzt nicht, dass du etwas durchgehend schlecht oder nur noch eines machen musst. Also wo alles bis ins Detail das schlimmste ist was man sich nur vorstellen kann. Es geht eher so:

Mache etwas nur so, damit es seinen Zweck in allen Belangen (Anforderungen, Aufgaben, Lastenheft usw.) erfüllt. Mit ‚allen Belangen‘ meine ich halbwegs komplett. Und komplett bedeutet in diesem Falle erst einmal gut genug, also ausreichend. (Wenn Facebook oder Kinder kriegen weder funktionieren noch glücklich machen, dann hör auf damit.) Es darf, falls es möglich ist, gerne mehr, besser und sehr gerne richtig gut sein, was du tust. Auf jeden Fall. Unbedingt.

Aber der Sinn dieses Beitrags ist, dass eben dies nicht immer möglich ist. Und selbst wenn es möglich wäre, es auch nicht immer ausreicht, um eine Wirkung zu erzielen.

 

Ein paar richtig blöde (und deshalb gute) Beispiele aus der Praxis:

Bikes von Harley-Davidson belegen in jedem Testbericht den letzten Platz. Die sehen in der Serie mitunter ‚hässlich‘ aus, sind mager ausgestattet und unlogisch konstruiert, haben deshalb Fehlzündungen und laufen nicht ganz rund. Sie vibrieren, krachen beim Schalten, sind langsam, unhandlich und haben die schlechteste Fahrdynamik und Sitzposition aller Motorräder. Das alles hat man nicht wegoptimiert, sondern im Gegenteil, kultiviert.

Deshalb sind Harleys nur für richtige Männer. Was ja auch stimmt. Und egal, ob sie schrauben oder fahren. Der unrunde Klang, die Custom-Szene, das rustikale Getriebe und die auf einigen Maschinen erzwungene Körperhaltung verstärken noch diese Wirkung.

Hier könnte man meinen, dass vor allem Victory, Indian (oder Yamaha) ähnliches anbieten. Tun sie aber nicht, weil dies nur gute Motorräder sind. Paradoxerweise sind bei Harley die Maschinen gar nicht der Kaufgrund. Es ist der Sound (Charakter) in Verbindung mit einem Gefühl, was man heute sonst nirgendwo mehr zu kaufen kriegt. Das schicke Bike ist nur Beigabe. Diese Beigabe ist so ’schlecht‘, dass sie oft erst einmal umgebaut werden muss.

Leichengeschmack und Krankenhausgeruch ist nicht jedermanns Sache. Kann bei schottischen Islay* Whisky aber vorkommen. Weshalb man ihn traditionell zum Abmischen (Blenden) verwendet. Laphroaig in seinen verschiedenen Varianten ist Leichenschauhaus mit Alkohol und daher für viele ungenießbar. Wenn Zombies Whisky kaufen würden, dann Laphroaig.

Und nicht nur Zombies. Auch für mich und einige andere ist der eigenartige Geschmack der Grund, mehr davon zu genießen, in allen Ausprägungen.

Weil es neugierig macht und die Abfüllungen wahre Geschmacksatombomben sind. Es gibt Leute (ich nicht), die geben hunderte von Euros für eine Pulle aus, nur um sie zu trinken. Der Stoff hat the Isle of Islay zu einem Begriff für Kenner [und trinkfeste Zombies] gemacht.

Original Image by Paul Altobelli

Öffentlich seine Fans zu beleidigen kommt nicht gut an bei selbigen. Und schon gar nicht auf der Bühne. Bei jedem Auftritt.

Aber genau das ist seit über 60 Jahren das Kernelement und der Grund für den Erfolg von Don Rickles. (Einfach mal bei YouTube seinen Namen eingeben.)

Er gehört bis heute zu den beliebtesten Gästen in amerikanischen Late Night Shows. Warum?

Weil er Schwung in die Bude bringt und die (jungen) Leute sehen wollen, wie der schrullige Alte wieder auf jemanden los geht. Das ist sein Rezept.

Der Mann ist alt, aber mopsfidel.

Trotzdem Vorsicht, er ist ein bisschen wie der oben genannte Whisky. Unnachahmlich, aber nicht jeder (Deutsche) kann ihn ab.

Das eine alberne Zirkus-Melodie für Kinder zu einem Welthit mutieren kann, haben Guns N‘ Roses bewiesen. Einer der größten Rock-Hits ist entstanden, weil Slash (Der Zottelkopp mit dem Zylinder) aus Quatsch so ein blödes Lied mit Absicht (und auch noch falsch) gespielt hat, und weil keinem erst mal was besseres eingefallen ist. Das Intro von Sweet Child o’Mine ist – wie der komplette Song – daraus entstanden.

Ein alter Scheuerlappen reinigt wohl schneller und besser als ein Vileda-Wischmopp. Meiner Erfahrung nach verteilt der eher den Dreck als dass er ihn aufwischt. Aber er (der Wischmopp) ist so saubequem, dass einem dessen Mehrwert sofort klar wird.

 

Du bist Künstler…

…wenn du einen Nachteil in einen Vorteil verwandelst. Du bist ein Genie, wenn du den Nachteil so aufbaust, dass nur noch du ihn dir erlauben kannst. Und du bist ein Magier, wenn du aus einen unhaltbaren Nachteil ein unnachahmliches Markenzeichen machst. Du bist der King, wenn Nachteil, Markenzeichen und Mehrwert bei dir ein und dasselbe sind.


*Islay spricht man wie in deutschen „Eila“ oder „Keiler“ aus. Laphroaig wie „La Froig“. (Oder ‚Phroaig wie „Froig“.) Und immer mit weich rollendem „R“.


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