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Channel: Klokain-Kartell
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Der Mäuserich

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Image by British Pest Control Association/CC BY 2.0

Ich machte erst neulich, also vor 15 Jahren, als Designer/Consultant/Lehrer oder was auch immer, meine üblichen Kaltaquisen* per Telefon.

Da hatte ich beispielsweise den Geschäftsführer einer Berliner Ingenieursfirma am Apparat. Als Ingenieur rief ich dort auch an.

Dann im Laufe des Gespräches entstand bei mir im Kopf ein Bild von dem Mann am anderen Ende.

Ich stellte mir irgendwas zwischen dem mittelalten Bud Spencer und John Wayne vor.

 

Nicht unsympathisch…

…aber scheinbar ein sehr selbstbewusster Bär von einem Mann. Einen echter Haudegen eben, so hörte es sich an. Zumindest am Telefon.

Seine Ausdrucksweise und vor allem die gewaltige Stimme sagten mir, der Mann ist ein harter Hund. Seine Stimme war so laut, dass ich bei jedem Wortanfang ein Rückschlag in meiner Hand hatte. Es war angenehmer, den Hörer eine Armlänge vom Ohr entfernt zu halten.

Wir verstanden uns ganz gut, denn ich stellte meine Stimme auf seine ein, was scheinbar Wirkung zeigte. Er lud mich zu einer Tasse Kaffee ein. Und es hätte mich nicht gewundert, wenn er statt „Tasse Kaffee“ Flasche Whiskey gesagt hätte.

Als ich dann hinfuhr und an dem massiven, rustikalen Gebäudekomplex angekommen war, bestätigte das meinen Eindruck.

Das Firmenlogo, die Einrichtung, alles wirkte irgendwie deftig. Selbst die Leute, wahrscheinlich die Belegschaft, egal ob Frauen oder Männer, waren große, stämmige Bauarbeiter-Typen. Alles passte und von daher wusste ich, was mich erwartete.

Und so plusterte ich mich auf, um bei der ersten Begegnung nicht zu ’schwächlich‘ zu wirken. (Was ich eh nicht tue, aber man weiß ja nie.)

Die Sekretärin brachte mich ins riesige Büro des Geschäftsführers. Es roch verqualmt. Schwere Ledersessel und rustikale Möbel prägten das Bild. Sogar eine Bar konnte ich entdecken. Aber keinen Geschäftsführer.

Die Sekretärin sagte jedenfalls nicht, dass er nicht da wäre.

So drehte ich mich nochmal um, zu fragen, ob ich hier auf ihn warten solle. Ich wollte gerade losreden, da hörte ich die voluminöse Stimme mit der Wucht eines mittleren Erdbebens….

 

Aha, der Geschäftsführer

Das einzig komische war, ich konnte ihn immer noch nicht entdecken.

Aber hören konnte ich ihn. Zumindest bis ich bemerkte, dass er 7 Meter vor mir in einen dieser Sessel saß. Eigentlich hatte er darin bereits gestanden.

Der Mann war höchstens 1,46m groß, sehr kompakt, fast schon zierlich. Eine Maus von einem Mann. Und das bei der Stimme und Sprechweise eines angetrunkenen Bauleiters.

Rein optisch war er mindestens 120 Jahre alt und reichlich wettergegerbt von der Baustelle. Das erklärt vielleicht seinen sonoren Sound.

 

Yoda Elvis

Der sah irgendwie aus wie Yoda mit Elvis-Tolle. Nur die behaarten Ohren waren noch größer. (Ich habe gehört, die wachsen bei alten Leuten immer weiter.) Seine Lauscher schienen auch irgendwie mit den seitlichen grau-melierten Haaren verwachsen zu sein. Zusammen mit seinen überlangen Schneidezähnen wirkte er dadurch noch mehr wie ein Riesennager. Es fehlte – sag‘ ich jetzt mal – nur noch ein Schwanz, der seine Körperlänge verdoppelt hätte.

Seine dünnen Beine konnten das Körpergewicht von geschätzten 35kg wohl gerade so halten, ohne umzuknicken.

Mein erster Gedanke: „Mit dem Whiskey wird das heute nichts mehr. Aber wenn ich ihm ein Stück Käse mitgebracht hätte, würde ich ihn nicht nur milde stimmen. Er würde auch wieder zu Kräften kommen.“

Aber es gab Kaffee und einen Auftrag für mich. Er bot sein Team zur Unterstützung an. Instinktive wollte ich sagen: „Ich arbeite nur allein.“ Aber ich willigte ein.

 

Im Grunde genommen war es das schon

Aber mal unter uns: Es war eine nette Begegnung und Bekanntschaft. Der Mann ist heutzutage schon Rentner und ich fand ihn interessant.

Aber wenn ich mir vorher – vielleicht auf einer Website – nur ein Bild von ihm gesehen hätte, wäre ich vielleicht anders, mit einer völlig anderen Vorstellung an ihn herangegangen.

Ich hätte mir eher darüber Gedanken gemacht, wie ich möglichst wenig groß, im Sinne von „bedrohlich“, auf ihn wirke. Oder wie ich ihn wieder aus meiner Nase ziehe, falls ich mal zu tief Luft hole.

Es ging mir ja nur um Aufträge, egal wie mein potentieller Auftraggeber aussieht. Obwohl… manchmal kann man Leute genau damit von sich abbringen, indem man mit ihnen übertrieben vorsichtig ist.

Denn nicht wie die Leute wirklich sind, ist ausschlaggebend dafür, ob wir mit ihnen können oder nicht. Sondern wie unsere Sichtweise, Weltbild oder Vorurteil von denen aussieht. Passt unser ‚Vorurteil‘ zu dem Charakter des Gegenüber, dann wird auch alles andere passen, das heißt man versteht sich auf Augenhöhe.

Ich habe vor den hier genannten Geschäftsführer den ’starken Anpacker‘ gegeben. Warum? Weil ich aufgrund seiner Art bereits am Telefon genau so jemanden mir gegenüber erwartet habe. Das hat geholfen. Weil er selber so jemand war. Und so jemanden haben wollte.

Gut, dass ich ihn vorher nicht gesehen habe.

Mal ganz ehrlich, „die Stimme am Telefon“ habe ich ernst genommen. Ich bin mir aber nicht so sicher, ob ich ihn genauso ernst genommen hätte, wenn ich ihn zuerst nur auf einem Bild gesehen hätte.

Erste Eindrücke bestimmen unser Leben. Manchmal, also in entscheidenen Momenten, sind sie sogar richtig.

*) „Kaltaquise“ heißt ‚Klinken putzen‘ per Telefon, also fremde Leute (Firmen) anrufen, um ihnen die eignen Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen.


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